von Richard Stallman
[ Deutsch | Englisch | Französisch | Italienisch | Japanisch | Koreanisch | Polnisch | Russisch | Ungarisch ]
Jede Entscheidung, die eine Person trifft, ergibt sich aus den Werten und Zielen dieser Person. Menschen können viele verschiedene Ziele und Werte haben; Ruhm, Profit, Liebe, Überleben, Spaß und Freiheit sind nur einige der Ziele, die ein guter Mensch haben kann. Wenn das Ziel ist, anderen ebenso wie sich selbst zu helfen, sprechen wir von Idealismus.
Meine Arbeit an freier Software wird durch ein idealistisches Ziel motiviert: Freiheit und Zusammenarbeit zu verbreiten. Ich möchte die Verbreitung von freier Software anregen, um proprietäre Software, bei der die Zusammenarbeit verboten ist, zu ersetzen und auf diese Weise unsere Gesellschaft zu verbessern.
Das ist der eigentliche Grund, warum die GNU General Public License so aussieht wie sie aussieht -- eine Form des Copyleft. Aller Code, der zu einem unter der GPL stehenden Programm hinzugefügt wird, muss freie Software sein, auch wenn er in einer anderen Datei steht. Ich stelle meinen Code für die Verwendung in freier Software statt in proprietärer Software zur Verfügung, um andere Menschen, die Software schreiben, zu ermutigen, ihre Software ebenfalls frei zu geben. Ich denke mir, dass während die Entwickler proprietärer Software das Copyright verwenden, um uns am Austausch zu hindern, wir das Copyright nutzen können, um anderen, die wie wir zusammenarbeiten wollen, einen eigenen Vorteil zu sichern: die Verwendung unseres Codes.
Nicht alle, die die GNU GPL verwenden, haben dieses Ziel. Als vor vielen Jahren ein Freund von mir gebeten wurde, ein unter Copyleft stehendes Programm auch ohne Copyleft-Bedingungen zu veröffentlichen, antwortete er etwa so:
Manchmal arbeite ich an freier Software, und manchmal an proprietärer Software -- aber wenn ich an proprietärer Software arbeite, erwarte ich, dass man mich dafür bezahlt.
Er war bereit, sein Werk mit einer Gemeinschaft, die Software teilt, zu teilen, aber er sah keinen Grund, einem Unternehmen auszuhelfen, das seine Produkte unserer Gemeinschaft vorenthielt. Sein Ziel unterschied sich von meinem, aber er entschied, dass die GNU GPL auch für sein Ziel nützlich war.
Wenn man in der Welt etwas erreichen will, ist Idealismus nicht genug -- man muss auch eine Methode wählen, mit der sich dieses Ziel erreichen lässt. Anders ausgedrückt: man muss »pragmatisch« sein. Ist die GPL pragmatisch? Schauen wir uns ihre Ergebnisse an.
Betrachten wir GNU C++. Warum haben wir einen freien C++-Compiler? Nur weil die GNU GPL festlegte, dass er frei sein musste. GNU C++ wurde durch das Industriekonsortium MCC auf Basis des GNU C Compilers entwickelt. MCC hält seine Arbeit normalerweise so proprietär wie es nur geht. Aber sie machten aus dem C++-Frontend freie Software, weil die GNU GPL festlegte, dass das die einzige Weise war, wie sie es überhaupt veröffentlichen konnten. Das C++-Frontend umfasste viele neue Dateien, aber da sie dafür gedacht waren, mit dem GCC gelinkt zu werden, galt die GPL auch für sie. Der Nutzen für unsere Gemeinschaft ist offensichtlich.
Betrachten wir GNU Objective C. NeXT wollte dieses Frontend ursprünglich proprietär machen. Sie schlugen vor, es in Form von compilierten .o-Dateien zu veröffentlichen, und das Linken mit dem Rest von GCC den Nutzern zu überlassen; sie dachten, auf diese Weise die Anforderungen der GPL umgehen zu können. Aber unser Rechtsanwalt erklärte ihnen, dass dies den Anforderungen nicht ausweichen würde, dass es nicht zulässig war. Und so machten sie aus dem Objective C Frontend freie Software.
Diese Beispiele sind mehrere Jahre alt, aber die GNU GPL bringt uns noch immer neue freie Software.
Viele GNU-Bibliotheken stehen unter der GNU Library [bzw. Lesser] General Public License -- aber nicht alle. Eine GNU-Bibliothek, die unter der gewöhnlichen GNU GPL steht, ist Readline, ein Werkzeug zum Bearbeiten von Kommandozeilen. Letzten Monat erfuhr ich von einem nicht-freien Programm, das für die Verwendung mit Readline konzipiert war, und erklärte dem Entwickler, dass dies nicht erlaubt sei. Er hätte das Bearbeiten von Kommandozeilen aus dem Programm entfernen können, doch stattdessen stellte er das Programm unter die GPL. Jetzt ist es freie Software.
Die Programmierer, die Verbesserungen für GCC schreiben (oder Emacs oder Bash oder Linux oder irgendein anderes GPL-lizenziertes Programm) sind häufig bei Firmen oder Universitäten beschäftigt. Wenn ein Programmierer seine Verbesserungen der Gemeinschaft zurückgeben und seinen Code in die nächste Version einbringen möchte, kann sein Chef ihm sagen: »Moment mal -- Ihr Code gehört uns! Wir möchten ihn nicht teilen; wir haben entschieden, aus Ihrer verbesserten Version ein proprietäres Software-Produkt zu machen.«
Hier kommt die GNU GPL zur Rettung. Der Programmierer zeigt seinem Chef, dass dieses proprietäre Software-Produkt ein Urheberrechtsverstoß wäre, und der Chef stellt fest, dass er nur zwei Möglichkeiten hat: den neuen Code entweder als freie Software zu veröffentlichen oder überhaupt nicht. Fast immer lässt er den Programmierer tun, was er von Anfang an vorhatte, und der Code wird Teil der nächsten freien Version.
Die GNU GPL ist nicht der »freundliche Herr von nebenan«. Sie sagt »Nein« zu einigen der Dinge, die Leute manchmal machen wollen. Es gibt Nutzer, die sagen, dass dies eine schlechte Sache ist -- dass die GPL manche proprietären Software-Entwickler »ausschließt«, die »in die freie Software-Gemeinschaft geholt werden sollten.«
Aber wir schließen sie nicht von unserer Gemeinschaft aus; sie beschließen selbst, draußen zu bleiben. Ihre Entscheidung, proprietäre Software zu schreiben, ist eine Entscheidung, unserer Gemeinschaft fernzubleiben. Ein Teil unserer Gemeinschaft zu sein, bedeutet eine Zusammenarbeit mit uns zu beginnen; wir können sie nicht »in unsere Gemeinschaft holen«, wenn sie nicht zusammenarbeiten wollen.
Was wir tun können, ist ihnen einen Anreiz zur Zusammenarbeit zu bieten. Die GPL wurde entworfen, um aus unserer vorhandenen Software einen solchen Anreiz zu machen: »Wenn du deine Software frei gibst, kannst du diesen Code verwenden.« Natürlich überzeugen wir so nicht alle, aber wir überzeugen einige.
Proprietäre Software-Entwicklung trägt nichts zu unserer Gemeinschaft bei, aber die Entwickler wollen häufig Unterstützung von uns. Die Nutzer freier Software können den Entwicklern freier Software Streicheleinheiten fürs Ego bieten -- Anerkennung und Dankbarkeit -- aber es kann eine große Versuchung sein, wenn einem ein Unternehmen erklärt: »Sie müssen uns bloß gestatten, Ihr Paket in unser proprietäres Programm einzubauen, und schon wird es von vielen tausend Nutzern eingesetzt!« Die Versuchung mag mächtig sein, aber langfristig sind wir alle besser dran, wenn wir ihr widerstehen.
Die Versuchung und der Druck sind schwieriger zu erkennen, wenn sie indirekt kommen -- durch freie Software-Organisationen, die es sich zum Grundsatz gemacht haben, sich proprietärer Software anzunehmen. Das X Consortium (und sein Nachfolger, die Open Group) bieten dafür ein Beispiel: da sie von Firmen finanziert werden, die proprietäre Software herstellen, bemühen sie sich seit einem Jahrzehnt darum, Programmierer von der Verwendung des Copyleft abzuhalten. Jetzt, wo die Open Group aus X11R6.4 nicht-freie Software gemacht hat, sind die von uns, die diesem Druck widerstanden haben, froh darüber.
[Im September 1998, einige Monate, nachdem X11R6.4 unter nicht-freien Vertriebsbedingungen veröffentlicht wurde, hat die Open Group ihre Entscheidung rückgängig gemacht und es unter der selben freien (aber nicht Copyleft) Lizenz veröffentlicht, die auch schon für X11R6.3 verwendet worden war. Danke, Open Group -- aber diese Kehrtwende widerlegt die Schlussfolgerungen nicht, die sich aus der Tatsache ergeben, dass es möglich war, diese Einschränkungen hinzuzufügen.]
Pragmatisch ausgedrückt, verstärkt das Nachdenken über langfristige Ziele den Willen, solchem Druck zu widerstehen. Wenn man seinen Geist auf die Freiheit und Gemeinschaft konzentriert, die man aufbauen kann, wenn man standhaft bleibt, wird man die Stärke finden, es zu tun. »Steh für etwas auf, oder du wirst für nichts fallen.«
Und wenn Zyniker Freiheit und Gemeinschaft lächerlich machen, wenn »knallharte Realisten« sagen, dass Profit das einzige Ideal ist... ignoriere sie einfach und verwende trotzdem das Copyleft.
Richten Sie Anfragen bezüglich FSF und GNU an gnu@gnu.org. Es gibt auch andere Möglichkeiten, mit der FSF in Verbindung zu treten.
Schicken Sie Kommentare zu diesen Webseiten an webmasters@www.gnu.org, andere Fragen an gnu@gnu.org.
Copyright (C) 1998, 2002 Free Software Foundation, Inc., 59 Temple Place - Suite 330, Boston, MA 02111, USA
Die unveränderte Wiedergabe und Verteilung dieses gesamten Textes in beliebiger Form ist gestattet, sofern dieser Hinweis beibehalten wird.
Aktualisiert: $$Date: 2002/03/20 21:11:03 $ $$Author: guido_arnold $